Salut!
Post by Helmut BarthAber zum Thema Güterzüge und versehentlich zu weit fahren: Hab ich
schonmal die Story vom "vergessenen" Lokführer erzählt?
Nein.
Ok. Also es begab sich zu einer Zeit, als Lokführer noch im gemischten
Einsatz tätig waren, daß ich einen nächtlichen Güterzug in Würzburg
abzulösen und nach Sindelfingen zu fahren hatte. Um von Stutgart nach
Würzburg zu kommen hatte ich am frühen Abend eine Gastfahrt in der
S-Bahn nach Kornwestheim Pbf und von dort einen etwas längeren Fußweg
(25 min.) ins Bw. Dort übernahm ich eine BR 150 und bespannte einen
gemischten Güterzug. Abfahrt war gegen 21 Uhr. Ankunft in Würzburg,
natürlich bis dahin ohne besondere Vorkommnisse[1], war irgendwann kurz
vor Mitternacht.
Anschließend gab es eine etwa einstündige Pause und dann kam auch schon
mein Zug Richtung Sindelfingen. Dieser Zug kam aus Bremen und war schon
eine Weile unterwegs mit seiner BR 151. Ich mochte die 151er nicht
besonders weil deren Fahrverhalten nicht besonders schön ist und sie
zudem vor lauter Kraft kaum Fahren kann. Andererseits hatte sie eine
brauchbare Heizung im Vergleich zur 150er. Auf der 150er lernte man ob
der schlechten Heizung und des kräftigen Bremswiderstandslüfters, der
die warme Führerstandsluft übermäßig stark absaugte (im wahrsten Sinne
des Wortes: Zugluft), recht schnell vorausschauende Fahrweise, die
Geschwindigkeitswechsel möglichst ohne Bremseinsatz bewältigte. Aber ich
schweife ab.
Also die 151 war gut geheizt und das war in Anbetracht der
vorherrschenden winterlicher Kälte sehr angenehm. Leider war der Zug
aber etwas verspätet und wurde ob seiner Funktion als rollendes
Lagerhaus einer weltbekannten Firma als überaus wichtig erachtet, so daß
ich die Fahrt möglichst rasch fortsetzen musste. Der von mir abgelöste
Kollege schimpfte noch etwas über eine Zwangsbremsung kurz vor der
Bahnhofseinfahrt und übergab mir die Lok als in Ordnung.
So schaukelte ich also die Fuhre durch die Nacht und ärgerte mich über
die Vibrationen der Lok die normalerweise ab etwas über 90km/h anfingen
und sich ziemlich aufschaukeln konnten. Nun fing das spezielle Exemplar
aber bereits ab 80 km/h an zu vibrieren. Folglich wählte ich meine
Geschwindigkeiten über weite Strecken im Rahmen der Möglichkeiten so,
daß die Lok möglichst ruhig lief. Als Lokführer denkt man ja immer
zuerst an sich ;-).
Aufgrund meiner Streckenkunde auf der Strecke und zahlreicher Fahrten
mit der BR 150 ebendort war das ein ruhiges und entspanntes Fahren,
zumal der Fahrplan doch etwas Luft hatte und man die Verspätung ohne
großen Stress aufholen konnte. Die Lok arbeitete also nur, wo es
unbedingt nötig war und gebremst wurde auch nur an den unvermeidlichen
Stellen mit längeren Gefällen.
Ohne große Probleme erreichte ich dann frühmorgens den Sindelfinger
Bahnhof. Dort sah der Plan vor, daß ich den Zug sichern und die Lok
abhängen sollte, weil das örtliche Rangierpersonal erst eine Stunde
später auftaucht. Anschließend sollte ich die Lok leer nach Kornwestheim
bringen.
Wie schon erwähnt war es Winter und folglich morgens früh zwischen vier
und halb fünf auch recht dunkel. So dachte ich bei mir, daß es
vielleicht gar keine dumme Idee ist auf dem rückwärtigen Führerstand das
Spitzensignal anzuknippsen und bei der Gelegenheit auch gleich nach der
Heizung zu schauen. Letzteres hat mir eigentlich schon seit Würzburg
etwas Kummer bereitet, weil ich natürlich gerne die Heizung dort schon
eingestellt hätte. Aber "Zug ganz wichtig" und "Gleis frei auch recht
wichtig" lassen einem ja nicht unbedingt die Wahl.
So warf ich denn mein Arbeitsmäntelchen über und machte mich auf den
langen Weg nach hinten. Dort riß ich die Tür auf, wie man das halt so
macht, wenn man schnell aus der Kälte will und hofft einen leidlich
warmen Raum vorzufinden, und war angenehm überrascht von einem recht
warmen Luftstrom. Genaugenommen war die Bude total überheizt. Und wie
ich das Licht anknippse merke ich, daß ich nicht ganz allein bin auf der
Lok. Zum Glück war ich nicht auch total überreizt..
Ich dreh mich also um und schaue auf einen ziemlich müden Kollege, der
im Halbschlaf was von "sind wir schon in Fulda?" murmelt. Innerlich
grinsend meinte ich "nein, wir sind sogar schon in Sindelfingen."
Fragender Blick. "Das liegt bei Stuttgart! Da wo dr Daimler isch..".
Ich hab noch nie jemanden so schnell hellwach werden gesehen. Innerhalb
einer hunderstel Sekunde hatte er die Uhr vor dem Auge, die Augen weit
aufgerissen und ein gedehntes "Waaaas? Ach du scheiße .."
fertiggebracht. Ich frug ihn dann natürlich, ob er denn in Fulda einen
Zug hätte übernehmen sollen, was natürlich Blödsinn war, denn das wäre
ja doch irgendwann aufgefallen und hätte Nachfragen ausgelöst. Aber
sowohl er als auch ich brauchten etwas Zeit zum denken.
Ich hatte es etwas leichter mir zu überlegen was ich jetzt mit dem armen
Kerl mache, da ich erst mal den Zug sicherte und abkuppelte. Dazu muß
man wissen, daß Sindelfingen Nahverkehrsmäßig nicht allzu üppig ans
Restnetz angebunden ist. Da waren morgens, mittags und abends ein oder
zwei Züge passend zum Schichtwechsel vom Daimler. Aber der erste
Morgenzug war um die Zeit gerade erst in Rottweil abgefahren, mithin
also noch mindestens 90 Minuten weit weg. Und die erste S-Bahn in
Böblingen war auch noch nicht in Sicht, zumal ein kurzer Abstecher nach
Böblingen gar nicht so einfach geworden wäre. Kein Fahrplan, keine
geplante Fahrt aber dafür noch ein paar Güterzüge im Weg. Naja, das
hätte man wohl mit dem Fdl verhandeln können, steuert doch der Böblinger
Fdl Sindelfingen mit.
Also bin ich zurück auf die Lok und habe dem Kollegen die Optionen
dargelegt, die im wesentlichen darauf hinausliefen: Absteigen, frieren
und ewig warten oder mitfahren, im warmen sein und ewig unterwegs sein.
Er entschied sich "spontan" dafür seinen warmen Platz nur teilweise
aufzugeben und auf dem Beimannstuhl Platz zu nehmen. Also hab ich beim
Fdl meine Fahrbereitschaft bekannt gegeben und gehofft möglichst schnell
die Lok nach Korea[2] bringen zu können. Von dem was hier geht hängt der
tatsächliche Feierabend ab, was unter günstigen Umständen überaus sehr
deutlich vor Plan sein konnte[3].
Der Fdl hatte einen guten Tag und signalisierte mir sein Wohlwollen
durch zwei Helle (Sh1), wie der Bayer zu sagen pflegt. Also sportlich
ausgewechselt und dann ging der Ärger los. Zwei Augenblicke nach dem
Anfahren in der Gegenrichtung beschlich mich ein ganz ungutes Gefühl,
daß direkt von hör- und spürbarem Poltern begleitet wurde. Ein kurzes
Wort: Flachstellen. Etwas länger: Böse Flachstellen. Aber zum Glück
konnte ich meine Hände in Unschuld waschen, was zwar beruhigt, aber
einen dummerweise trotzdem nicht nach Hause bringt. Also anhalten, Fdl
um Aufschub bitten und das Übel anschauen:
In der Langfassung: über 60mm lang und damit viel zu viel für eine Fahrt
mit nennenswerter Geschwindigkeit und eigentlich auch ausserhalb der
Entscheidungskompetenz eines Tf. Bis 60mm galt für die Räder über 1m
Durchmesser (RoLa hatte etwas andere Maße, da wären 60mm lange Platten
ja schon fast die Quadratur des Kreises ;-) als vertretbar. Was länger
war ist zu tief und muss gemessen werden. Nach der Messung sagt dann der
Werkmeister wie schnell es zur Unterflurdrehbank geht.
Naja, also kurz mit dem auf der La-Rückseite aufgedruckten "Lineal"
gemessen und dabei gesehen daß am benachbarten Rad gleich der ganze
Bremsklotz fehlt. Immer schön nach Murphy, wenn schon Sch**** dann
richtig Sch****. Nun hatte ich ein echtes Problem. Die Bremse des
Drehgestells ohne Klotz muss ausgeschaltet werden und so Geschichten wie
halbes Bremsgewicht gab/gibt es für die 151er nicht. Folglich hatte ich
jetzt einen warmen Führerstand ohne Bremsen und müsste die Lok
eigentlich schleppen lassen. Genaugenommen bräuchte ich sogar zwei Loks,
eine zum ziehen und eine als letztes Fahrzeug wegen der wirksamen Bremse
und genügend Bremskraft daß wir ein paar Bremshundertstel mehr bekommen.
Also hab ich die Lokdienstleitung angerufen und den Fall geschildert.
"Hilfslok oder zwei? Frühs um fünf? Gehts noch? Bring die Kiste nach
Kornwestheim, wir brauchen die Lok!" Hmpf. Ok. Das war eine klare
Ansage. Ich rief nochmal an und sagte zu die Lok nach Kornwestheim zu
bringen, erwähnte aber gleich, daß das ein wenig dauern wird. Da bekam
ich noch eine blöde und wenig zielführende Antwort und darauf hin ließ
ich das Elend halt seinen Lauf nehmen. Wenn man mir dergestalt
Entscheidungsfreiheit zugesteht, dann entscheide ich halt.
Ich teilte dem Fdl, erneut meine Fahrbereitschaft mit und sagte gleich
dazu, daß ich wegen enormer Flachstellen sehr langsam sein werde. Ihm
war das gleich, das Signal wurde frei und wir rumpelten los. Als
Höchstgeschwindigkeit wählte ich zunächst 40km/h, die ich aber nach
wenigen 100m auf 30km/h und später auf 25km/h zurücknahm. Langsamer
wollte ich dann doch nicht fahren, da es dort Bahnübergänge gibt, die
bei Unterschreiten von 20km/h manuell zu sichern gewesen wären.
Gepoltert hat es ordentlich und es dürfte uns kaum einer überhört haben.
Nach zehn Minuten klingelte dann auch schon der Funk und der Fdl fragte
nervös nach, warum es denn so langsam ginge. Ich öffnete einfach die Tür
und hielt den Hörer raus. Anschließend ergänzte ich um eine
Geschwindigkeitsangabe. "Oh oh."
Zu meiner Überraschung sah ich dann trotzdem in Renningen Durchfahrt
gestellt obwohl auf dem Gleis von Weil der Stadt her eine S-Bahn stand.
Inzwischen hatte auch die Morgendämmerung eingesetzt und die ersten
S-Bahnen waren schon durch. Ungeschickt für den Kollegen, der sich aber
dazu entschlossen hatte, lieber warm und vorwärts als kalt und rumstehen.
Der Fdl war über Funk nicht zu erreichen, so daß ich bei ihm vor der
Hütte hielt und ihn aufforderte das Signal zurückzunehmen und die S-Bahn
vorzulassen da ich nur mit 25km/h unterwegs bin. "Fahr zu, die in
Stuttgart wollen das so..". Erstaunlicherweise hielten "die in
Stuttgart" durch bis ich in Leonberg war was wegen eines Gefälles und
meiner halben Bremse WIMRE mehr als eine halbe Stunde gedauert hatte.
Sprich die S-Bahn hinter mir hatte in Leonberg mindestens 30,
wahrscheinlich aber sogar 45 Minuten.
Als ich in Leonberg ankam war es dann auch ganz schnell vorbei mit der
Vorfahrt. Mindeststandzeit: Eine Stunde, bis der Berufsverkehr
nachlässt. Order aus Stuttgart. Dort war inzwischen Schichtwechsel. Aber
mit mir hat von denen keiner mehr geredet bis Kornwestheim.
Ich empfahl dann dem "vergessenen Kollegen", er möge doch auf die S-Bahn
umsteigen und mit der nach Stuttgart Hbf fahren und von dort einen ICE
Richtung Norden nehmen. Was mich darauf bringt, daß ich noch nicht
erwähnt habe wie der Gute überhaupt bis Sindelfingen mitgekommen war.
Während der Gurkerei hatten wir ja einiges an Zeit um uns über diese
Geschichte und allerlei andere Vorkommnisse zu unterhalten. Er erzählte
also, daß er irgendwann nachmittags angefangen und einen Zug Richtung
Norden gefahren hat. Weil er dann keine Rückleistung mehr bekommen hatte
und irgendwo bei Fulda wohnte sollte er mit "meinem" Zug Fahrgast bis
Fulda mitfahren. Weil er aus irgendwelchen Gründen nicht ganz so fit
war, war er darum gar nicht böse und hat es sich auf dem hinteren
Führerstand warm und bequem gemacht ... und war dann einfach eingeschlafen.
Leider ging aber bereits beim ersten Lokführerwechsel unterwegs die
Information verloren, daß "da hinten noch einer liegt, der in Fulda
runter will". Er hatte wohl später die Zwangsbremsung des Kollegen
mitbekommen, aber darauf vertraut, daß in Fulda gehalten und er von der
Lok geworfen wird. Daß er zu dem Zeitpunkt bereits kurz vor Würzburg war
und keiner überhaupt von ihm wusste konnte er ja nicht ahnen. Und ich
habe ihn anschließend wieder in den Schlaf geschaukelt .. Also ganz
klarer Fall von dumm gelaufen.
Zum Glück hatte er Feierabend und viel Zeit bis zur nächsten Schicht, so
daß er problemlos nach Hause fahren konnte, ohne wegen einer
Folgeschicht in Zeitnot zu kommen. Er hat dann in Leonberg erst ein
Telefon gesucht um seine Freundin anzurufen und sich dann entschlossen
doch mit mir mitzufahren und sich noch das Ende der Show anzuschauen.
So ging denn auch die Stunde Wartezeit rum, nach der ich unter Verweis
auf meinen Dienstbeginn und das näher kommende 12- Stunden- Limit um
Weiterfahrt bat. "Die aus Stuttgart" waren inzwischen auch richtig
nervös und hatten es ganz wichtig, so daß wir unsere Fahrt tatsächlich
alsbald fortsetzen konnten. Mit 12 Stunden und ein paar Minuten trafen
wir in Korea ein und sollten die Lok sofort dem Ablöser übergeben,
welcher gleich bei der Lokleitung aufstieg. Nach kurzer Schilderung des
Sachverhalts (er hatte uns ja heranpoltern gehört, so daß es nicht
allzuvieler Worte bedurfte) bestellten wir beim Stellwerk direkt in die
Werkstatt.
Sowohl der Lokleiter als auch "die aus Stuttgart" tobten, wohingegen der
Werkmeister uns einwies und die Meßlehre zückte. Bevor ich den
Arbeitsauftrag fertiggemalt hatte wußte ich vom Wm schon, daß die Lok
mit Hg 30km/h zur Unterflur muß, sobald der fehlende Bremsklotz
eingesetzt ist. Von den allseits lautstark angedrohten Folgen habe ich
übrigens trotz beharrlichen Nachfragen nie mehr was gehört.
So packte ich denn in Kornwestheim meine Tasche und brachte den
"vergessenen Lokführer" noch zum Hauptbahnhof, von wo aus wir uns beide
auf den jeweiligen Heimweg machten.
[1] Ganz so natürlich ist das natürlich auch nicht. Eine 150er
kaputtzubekommen bedurfte allerdings schon besonderer Mühen oder Zufälle.
Mit der 150er hatte ich nur ein besonderes Vorkommnis, das allerdings
eine Werkstatt zu verantworten hatte: Abspanner wegen ungesicherter und
herausgefallener Schleifkohlen an der Lademaschine. Das war in der
gleichen Schicht wie jene in [4] genannte die auch mal 7 Stunden vor
plan erledigt sein konnte, wenn es besser lief.
Zwei weitere Pannen habe ich direkt mitbekommen, ohne direkt beteiligt
gewesen zu sein: Ein Lokbrand in der Brettener Steige, da stand ich 200m
weg und durfte ohne Strom den Löscharbeiten zuschauen und ein im
wahrsten Sinne des Wortes gefallener Hauptschalter. Als der Kollege
wegen des Hauptschalters eine neue Lok vom Lokleiter wollte meinte der
Lokleiter "schalte ihn halt wieder ein, dann gehts" und bekam zur
Antwort "du verstehst mich falsch. Der Hauptschalter ist nicht durch
eine Auslösung gefallen.." Sprachs und legte das Trennmesser samt halbem
Drehisolator auf den Tresen ...
[2] Korea = Kornwestheim Rbf
[3] Bei jener Schicht waren etwa 30 Minuten möglich, aber mein
persönlicher Rekord liegt bei 7 Stunden vor Plan, aber das ist eine ganz
andere Geschichte...[4]
[4] Da ging es um einen Kies- oder Sandzug von Bruchsal nach Schorndorf.
Dienstbeginn in Stuttgart um 18.51, 15 Min Fussweg, 11 Min Gastfahrt
S-Bahn nach Kornwestheim Pbf, 25 Min Fussweg ins Bw, Lok aufrüsten, Leer
nach Bruchsal fahren, Kieszug anhängen, Bremsprobe, von Bruchsal über
Mühlacker, Vaihingen/Enz, Bietigheim, Ludwigsburg, Kornwestheim Rbf nach
Untertürkheim Rbf. Dort den Zug umfahren und nach der Betriebsruhe
nach Schorndorf fahren. Zug sichern, abhängen und die Lok leer von
Schorndorf über Untertürkheim nach Kornwestheim ins Bw und dann die Wege
und Gastfahrten vom Dienstbeginn rückwärts. Geplante Dauer 11.51 Minuten.
Die 5 stündige Kurzfassung: "Nimm die 150-irgendwas vom Hof, fahr das
Ding und bring Sie wieder nach Stuttgart zur Frist." Zu der Zeit in der
der Plan das Abfahren der Lz in Kornwestheim vorsah kam ich in Bruchsal
an. 11 Minuten später war ich schon wieder auf der Rückreise weil der
Zug noch keine Stunde stand und die Bremse schön gefüllt war und der
Rangierer mit dem Radl unterwegs war.
Gegen 23 Uhr musste ich in Untertürkheim ein wenig Überzeugungsarbeit
leisten, weil jeder glaubte daß ich nicht mehr nach Schorndorf fahren
darf. Ich bot an, selbst zu kuppeln, wenn kein Rangierer da ist, wenn
nur anschließend gleich gebremst werden kann. So lief es und ich durfte
nach der letzten S-Bahn Richtung Schorndorf in Untertürkheim abfahren
und dank überzeugender Worte nahm mich der Schorndorfer Fdl noch nach
der letzten S-Bahn die ich im Blockabstand verfolgte in seinen Bahnhof
und ließ mich auch gleich wieder zurückfahren.
Also rein in den Bahnhof, Papiere in den Kasten, zwei Handbremsen
zuspindeln, die Lok abhängen und auswechseln und beim Heimfahren an den
letzten zwei Wagen kurz anhalten und nochmal zwei Handbremsen zudrehen.
Dann das Handrad der 150 einmal auf die 20 gedreht und 10 Sekunden
später wieder auf 0 und mit einem fröhlichen Lied auf den Lippen und
Tempo 100 auf der Uhr dem Feierabend entgegen.
Am Abzw. Nürnberger Straße gab es nochmal kurz Irritationen, weil der
Plan nach Untertürkheim geht mein Auftrag aber nach Stuttgart. "Sie
wünschen wir spielen" stellte der Fdl einen neuen Fahrweg ein und um 1
in der Nacht stand die Lok wieder auf dem Hof.
Um Peinlichkeiten zu vermeiden dann nochmal sicherheitshalber beim
Lokleiter vorbei und gefragt ob noch was anliegt. Irritierter Blick.
"Was hast du gemacht?" die Schicht 199 (WIMRE). Geblätter.
Augenaufschlag. "199? Ja?" "Jaaa". Das sind ja dann ...
*fingeraufplanzeigendabzähl* eins.. drei.. fünf.. "Du kannst doch noch
gar nicht da sein! Was hast du gemacht?" "Die 199, Lok von hier, Lok
nach hier allerdings, steht auf 596 zur Frist" "Aha
*fingeraufplanzeigendabzähl* eins.. drei.. fünf.. sechs..sieben"
Augenaufschlag. "Du hast nichts ausgelassen? Den Zug aus Bruchsal oder
so?" "Nö, der Kies ist in Schorndorf, die Lok unten vor der
Schiebe(bühne)" "Sieben Stunden, das hat noch keiner geschafft, wenn das
einer merkt .." Plananguck. Abzähl. Augenaufschlag. Kopfschüttel.
"Wegtreten..". Um zwei lag ich im eigenen Bett..
Hätte ich die Lok unterwegs in meinem Wohnort abstellen dürfen und am
nächsten Tag damit zu Dienst fahren können wäre noch ne Stunde mehr
Nachtschlaf drin gewesen. Aber danach zu fragen hab ich mich dann doch
nicht getraut weil es dann für die Frist etwas eng geworden wäre.
[5] Was mir gerade so einfällt: Einmal war auch ich vergessener
Lokführer. Da gings mit einem Güterzug durchs Neckartal und in
Neckargemünd gings auf den Rand. "Mannheim hat noch keinen Ablöser, du
stehst hier mal auf Abruf Mannheim. Die haben PU und Chaos, kann also
dauern." "Ok, funk mich an wenn es weitergeht, ich mach ein wenig
horizontal." Ohne Ebula und Funkgedöns konnte man sich weiland auf der
150er schön auf den Führertisch legen, Kittel als Kissen und
Scheibenheizung zum Rückenwärmen. Seitenfenster einen Spalt auf, weils
dort immer ein bissel nach frischem Holz geduftet hat. Das war nachts um
drei und der rotierende Umformer hinter der Tür säuselt schön
gleichmäß....ß...ß....ß...ß....
Irgendwann denke ich so bei mir, daß ich meine Augenlider sehr deutlich
wahrnehmen kann und öffne die Augen um mal von aussen nachzuschauen.
Draussen ists hell und man hört Verkehrslärm. Sehr untypisch für mitten
in der Nacht. Der erste Gedanke: "Sch... Funk nicht gehört und verpennt.
Sowas von oberpeinlich" Also Schadensbegrenzung. Runter an den
Signalfernsprecher, muß ja nicht grad die Zentrale mithören und alles
auf Band sein, was man beichtet. "Ach bist jetzt munter? Der Mannheimer
hat sich noch nicht geregt, da wollt ich dich nicht wecken, aber ich
frag jetzt mal nach..." Rummmsss .. Puhh. Unschuld gerettet. Wieder hoch
auf den Bock und Vesper ausgepackt, Tasse Tee eingeschenkt und abwarten.
Auf einmal geht der Funk. "Lokdienst Karslruhe, Lokführer wer bist Du,
wo bist Du und was hast Du für 'nen Zug?" "Stuttgart 18.50 Reserve, steh
in Neckargemünd und hab den $langvergesseneZugnummer" *Papiergeraschel*
*Tastaturgeklapper*. Ich schiele erstmal auf die Uhr um zu checken was
denn überhaupt läuft. 8.23. Oh oh. 12-Stunden-Limit ist rum,
14-Stunden-Limit wenn man zwei Stunden Pause macht ist auch schon in
Sichtweite. Viel geht da eigentlich nicht mehr, rein rechtlich
betrachtet. Aber drauf beharren wollte ich dann auch nicht, weil ich war
zu dem Zeitpunkt definitv fitter als zum Diensbeginn.
"Oh, da ist ja der Zettel, war unter eine Tastatur gerutscht.
Lokfüüüüührer .. ?" sehr gedehnt, leicht ironisch-drohender Unterton.
Ich suche meine Unschuldigstes "Öhm, ja, bin noch da." "Du stehst da ja
schon eine ganze Weile..." das war jetzt leicht vorwurfsvoll fragend.
Will er wissen warum ich mich nicht früher geregt habe, oder ob ich noch
was fahre. Ich entscheide mich für die Offensive. "Jawoll! Aber das ist
kein Problem, ich bin *_noch_* (besonders betont! ;-) fit und zu
*_fast_* (wie vor) allem bereit. Wie gehts jetzt weiter?" "Fährst den
Zug nach Mannheim Rangier und gehst zum Lokleiter. Wann musst wieder
kommen?" "Heut abend um halb elf sowas." "Ok, lass Dir n Taxi holen und
vergiss die Rheinau, dein Zug ist eh weg, Fahrgast heim.."
Dann bin ich nach Mannheim Rbf gerumpelt und dort kam der Ablöser
ebenfalls ziemlich fit daher und meinte "wo kommst Du denn her? Seit
fast 6(!) Stunden warte ich auf Dich.." "Ich stand auf Abruf 20 km von
hier, weil Du vor fast 6 Stunden noch nicht da warst, hast wenigstens
ausgeschlafen?" Ja ja, auch die bunte Bahn hat nicht immer alles so auf
die Reihe gebracht. Gut wenn man wenigstens nicht leiden musste darunter..
Grüßle, Helmut