Discussion:
Der Ingenieur und die Hitze im Gleis
(zu alt für eine Antwort)
paux-courrouges
2010-07-17 18:20:17 UTC
Permalink
Vor ca. 40 Jahren gab es vor dem TGV einen SNCF-Erprobungsträger für
neue Bahntechnologien: Einen umgebauten Triebwagen mit dem Kosenamen
Zébulon.
Damit wurde auch ziemlich erstmalig der Bahn-Einsatz der Foucault-
Strom-Bremse (deutsch: Wirbelstrombremse) getestet, mit recht
positiven Ergebnissen.
Es gab jedoch auch Negativa, insbesondere die induzierte Erwärmung im
Gleis. Sie hätte bei den ins Auge gefassten recht kurzen Zugabständen
(im Bereich von fünf Minuten) bedenkliche Kumulativwerte annehmen
können, insbesondere im südlichen Rhonetal.
Nach Abwägung aller Vor- und Nachteile wurde diese Bremstechnologie
daher schließlich verworfen, zumal sehr leistungsfähige Alternativen
existierten.

Die Chose wäre total in Vergessenheit geraten, bis ein
Vierteljahrhundert später und aus den deutschen Landen ein
Technologiedurchbruch vermeldet wurde: Der erstmalige Einsatz der
modernsten Zugbremse der Welt - der WBS-Bremse - in den neuen ICE3 der
Deutschen Bahn.

Es gab daraufhin einen fachkundigen Journalisten (vielleicht bei der
FAZ? Dort gibt es welche), der offensichtlich vom Zébulon gehört
hatte, und kritisch nachfragte, wegen der Erhitzung und so...
Da wurde er belehrt, daß es in Deutschland nie so heiß würde wie im
Rhonetal, und daß der Zugbetrieb auf deutschen NBS auch nie mit
solchen unmöglich kurzen Zugabständen stattfinden würde...(und
wahrscheinlich auch, daß man sich mit seinem Herausgeber
kurzschliessen würde und er schon etwa bei der Müllabfuhr wegen Job
vorsprechen sollte).
Wie zur Untermauerung dieser Aussage gab es in den folgenden Monaten/
Jahren einige wissenschaftliche Publikationen zum Thema.
Eine, von einem H. Josef Eisenmann, erschien 2002 in "der
Eisenbahningenieur" und soll lt. Résumé dargestellt haben, daß
bei Zugabständen von 10 Minuten und
mit 250 kmh und
auf Gefällstrecken von 12/oo
mit Erwärmungen im Bereich von 25K zu rechnen sei, die jedoch die
Gleisstabilität nicht beinträchtigen würden.

Inzwischen herrschen aber jeden zweiten Sommer ähnlich hohe
Temperature im Rheintal wie im Rhonetal.

Da hätte ich gern in den Tabellen und Diagrammen des H. Eisenmann
nachgeschaut, was mit der Gleisstabilität passiert, wenn die
Bezugstemperatur von 307 auf 317 oder 320K erhöht wird.
Und was aus den 25K wird, wenn man von 300 kmh auf Gefällstrecken von
40/oo abbremst.

Hat die jemand?

CdePC
Gernot Griese
2010-07-17 18:43:57 UTC
Permalink
Post by paux-courrouges
Vor ca. 40 Jahren gab es vor dem TGV einen SNCF-Erprobungsträger für
neue Bahntechnologien: Einen umgebauten Triebwagen mit dem Kosenamen
Zébulon.
[Ausführungen über die Wirbelstrombremse]
Post by paux-courrouges
Inzwischen herrschen aber jeden zweiten Sommer ähnlich hohe
Temperature im Rheintal wie im Rhonetal.
Da hätte ich gern in den Tabellen und Diagrammen des H. Eisenmann
nachgeschaut, was mit der Gleisstabilität passiert, wenn die
Bezugstemperatur von 307 auf 317 oder 320K erhöht wird.
Überhaupt nichts. Die Zugfestigkeit von Baustahl beginnt erst jenseits
von 100°C langsam abzusinken. 13K mehr in der Umgebungstemperatur
spielen dabei keine Rolle, zumal die Abstrahlung der Wärme proportional
der dritten Potenz der absoluten Temperatur ansteigt.

Gernot
paux-courrouges
2010-07-17 19:42:12 UTC
Permalink
Post by Gernot Griese
Überhaupt nichts. Die Zugfestigkeit von Baustahl beginnt erst jenseits
von 100°C langsam abzusinken.
Wer hat von Zugfestigkeit gesprochen?
Wohl aus dem Regal diesmal nicht "Flugbetrieb für den Laien" sondern
"Stahltechnik für Laien" geholt?

Worum es geht ist hier:

"Temperaturänderungen des Gleises können sowohl durch klimatische
Einflüsse, wie z.B. Sonneneinstrahlung oder Schattenwurf, als auch
durch die Lage im Übergang von einem Tunnel auf die freie Strecke
hervorgerufen werden. Ein weiterer Faktor, der sich auf die
Schienentemperatur auswirkt, ist der Einsatz der Wirbelstrombremse bei
modernen Zügen /10/, /16/.
Unter der Voraussetzung einer reibungsfreien Lagerung würde sich eine
Schiene nach der Gleichung
(...) mit den Variablen
Δl = Längenänderung [mm]
α = Temperaturdehnzahl von Stahl [1/K]
l = Schienenlänge [mm]
ΔT = Temperaturänderung [K]
ungehindert dehnen.
Da dies jedoch weder beim lückenlosen Gleis noch beim Stoßlückengleis
gegeben ist, entstehen bei Änderung der Schienentemperatur
zwangsläufig Spannungen und somit Längskräfte. Deren Größe hängt von
der Temperaturdifferenz gegenüber der neutralen Verspanntemperatur ab
und berechnet sich für ein lückenloses Gleis
(...)
Unter Zugrundelegung der mittleren, neutralen Verspanntemperatur von
23 °C und den in den Oberbaurichtlinien der Deutschen Bahn AG
angegebenen Höchst- und Niedrigsttemperaturen der Schienen von 65 °C
und -25 °C treten somit maximale Druck- bzw. Zug-spannungen von 106 N/
mm2 bzw. 121 N/mm2 auf, wobei eine Temperaturdehnzahl von Stahl von
1,2⋅10-5 1/K und ein Elastizitätsmodul des Schienenstahls von 210 000
N/mm2 vorausgesetzt wird.
(..) Für das heute auf stark belasteten Strecken zur Anwendung
kommende Schienenprofil UIC 60 entsprechen dem maximale Druck- und
Zugkräfte von 814 kN und 930 kN. Nach neueren Untersuchungen liegt die
maximale Schienentemperatur allerdings ungünstigstenfalls 18 bis 20 K
über der maximalen Lufttemperatur. In Deutschland ergibt sich demnach
bei einer maximalen Lufttemperatur von 38 °C eine maximale
Schienentemperatur von 58 °C /19/....
Gegenüber der freien Strecke können im Bereich von Weichen höhere
Längskräfte vorliegen, da Temperaturänderungen sowohl im Stamm- als
auch im Zweiggleis Kräfte bewirken, die sich bei der Einleitung in die
Weiche überlagern"

(Dr. Ing. Dissertation Robert Kupfer- 2004)


CdePC
Hans-Joachim Zierke
2010-07-19 08:56:37 UTC
Permalink
Post by Gernot Griese
Überhaupt nichts. Die Zugfestigkeit von Baustahl beginnt erst jenseits
von 100°C langsam abzusinken. 13K mehr in der Umgebungstemperatur
spielen dabei keine Rolle, zumal die Abstrahlung der Wärme proportional
der dritten Potenz der absoluten Temperatur ansteigt.
Das meint er mit Sicherheit nicht, sondern die Längsdehnung der Schiene,
die zu Spannungen führt, welche vom Oberbau abgebaut werden müssen.

Während das auf von DB Netz korrekt gewarteten Hauptabfuhrstrecken kein
Problem ist, kommt es bei großer Hitze regelmäßig zu Verwerfungen auf
Nebenbahnen, die von DB Netz zum Teil sehr naturnah betrieben werden,
mit hohem Anteil von Biomasse im Schotter.

Hierbei ist allerdings zu beachten, daß auf Köln-Rhein/Main feste
Fahrbahn, nicht Schotteroberbau eingesetzt wird, und daß
Schotteroberbau in Frankreich weniger fest gestopft wird als in
Deutschland (wodurch es zum Schotterflugproblem unter ICE3 in Frankreich
kam, das bei Testfahrten auf Oebisfelde-Stendal nicht beobachtet werden
konnte).


Hans-Joachim
--
Who recycles 100 million weird-coloured rags?
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